Corona und Verschwörungstheorien: über die Rolle der Kommunikation in Krisenzeiten – ein Interview mit Monika Kobzina

In Zeiten der Corona-Pandemie haben Verschwörungstheorien wieder Fahrt aufgenommen. Warum ist das so und welchen Wert haben Diskussionen in solchen Zeiten für unsere Gesellschaft? Wie erkennt man Verschwörungstheorien und wie geht man damit um? Das sind Fragen, die mich in den letzten Wochen beschäftigt haben und denen ich auf den Grund gehen wollte. Was ich herausgefunden habe und das Interview mit der Kommunikationsexpertin Monika Kobzina zu diesem Thema, liest du hier:

Verschwörungstheorien sind kein neues Phänomen. Psychologisch gesehen soll es, vom heutigen Wissensstand ausgehend, eine evolutionäre Verankerung geben. Auch schon lange vor dem Internet wurden immer wieder Theorien verbreitet, die versucht haben, eine Entwicklung durch eine Verschwörung zu erklären. Mit dem Internet steigt die Geschwindigkeit der Verbreitung rasant und die Sprachbarrieren sind geringer geworden. Da uns Übersetzungsdienste mit Gleichgesinnten auf der ganzen Welt verbinden können.

Verschwörungstheorien finden vor allem in Zeiten der Krise Gehör

In Zeiten der Krise sind wir Menschen anfälliger für diese Erklärungsversuche. Unangenehme Emotionen, Ungewissheit und Kontrollverlust verursachen Stress und veranlassen uns eher dazu, an Verschwörungstheorien zu glauben.

Denn sie versprechen ein Gefühl von Struktur und liefern einfache Antworten auf komplexe Fragen. Danach sehnen wir Menschen uns in solchen Situationen besonders. Sie sind so attraktiv, weil sie eine rationale Erklärung schaffen und eine Identität anbieten. Für jene, die auf der Suche sind. Die Identität des Opfers und gleichzeitig die Identität des Helden bzw. der Heldin, weil man scheinbar zu den wenigen gehört, die diese Verschwörung aufgedeckt haben.

Gesellschaftskritik vs. Verschwörungstheorie

Wichtig ist der Unterschied zwischen Gesellschaftskritik und Verschwörung. Während sich Kritik an unserem gesellschaftlichen Zusammenleben gewissermaßen an uns alle richtet, suchen Verschwörungstheoretiker meist einen Schuldigen oder eine Minderheit, die die Ursache für die Missstände auf dieser Welt sein sollen.

Das kritische Hinterfragen von Informationen und Gegebenheiten ist eine Fähigkeit, die immer wichtiger wird. Sie kann dazu beitragen, das Kritisierte zu verbessern oder abzuschaffen. Doch das gesammelte Wissen zu überblicken, zu analysieren und richtig einzuordnen, ist keinesfalls einfach. Sich dann auf einfache Erklärungsversuche einzulassen, scheint verlockend und angenehm, bringt uns aber nicht weiter. Was uns Fortschritt ermöglicht, ist ein respektvoller Diskurs von allen Beteiligten. Deshalb liest du ab hier ein Interview mit der Kommunikationsexpertin Monika Kobzina:


Über die Diskussionskultur in Zeiten der Krise: Ein Interview mit Monika Kobzina

Monika Kobzina ist selbstständige Kommunikations- und PR-Beraterin, Trainerin und Systemischer Coach. Sie unterrichtet außerdem Kommunikationswissenschaft, PR und Medienarbeit an der Boku.

Fotocredit: Beni Mooslechner

Im folgenden Interview hat sie mir kommunikationswissenschaftliche Antworten auf Fragen zu den Themen Verschwörungstheorien und eine respektvolle Diskussionskultur gegeben.

Wieso gewinnen Verschwörungstheorien gerade wieder so an Fahrt? Ist es die Sprache, die wir verwenden, die allgemeine Unsicherheit, die Rolle der Medien oder etwas anderes?

In unsicheren Zeiten, wie während der Corona-Pandemie, erfahren Verschwörungstheorien einen Aufschwung. Wenn man sich unsicher ist, hat Desinformation oftmals schon ihr Ziel erreicht. Natürlich spielen hier neben der allgemeinen Prädisposition der EmpfängerInnen – wie Bildung und emotionaler Hintergrund – die Medien eine große Rolle.

Menschen, die eher zu Verschwörungstheorien neigen, greifen gemäß einer im Juni 2020 durchgeführten Befragung des Instituts für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien zufolge stark auf YouTube, WhatsApp und Instagram zurück, wenn sie sich Informationen beschaffen wollen. Besonders WhatsApp etablierte sich laut Meinung von ExpertInnen zu einer „Fake-News-Schleuder“. Jene ÖsterreicherInnen, die sich eher über traditionelle Medien informieren, konnten Desinformationen sicherer identifizieren, ergab die Befragung. Einen deutlichen Zusammenhang gebe es bei allen Verschwörungstheorien mit rechter Ideologie, da sich diese Menschen häufig abseits traditioneller Medien informieren.

Die Befragungen werden im Abstand von 2 Wochen mit denselben 1.502 Personen durchgeführt. Dabei soll zukünftig auch untersucht werden, ob die Fähigkeit, Desinformationen zu erkennen, gestiegen ist. Zudem will man untersuchen, ob es einen Zusammenhang zwischen besonders großer Angst oder Sorge während der Pandemie und dem Glauben an Verschwörungen gibt.

Welchen Wert haben Diskussionen? Sollten wir diskutieren, auch wenn es anstrengend ist, und man nicht gleicher Meinung ist?

Diskussionen sind von großem Wert, wenn sie ernstgenommen werden. Gerade wenn wir nicht gleicher Meinung sind, ist der Diskurs von größter Bedeutung. Diskurs im Sinne des Abgleichs von „Weltbildern“.

Das Erkunden der Welt „des anderen“ kann nur über den kommunikativen Austausch erfolgen. Von größter Wichtigkeit ist es, die Bilder anderer Menschen anzuerkennen. Das ist nicht gleichbedeutend mit, diesen „Bildern“ zuzustimmen. Anerkennen und Ernstnehmen ist der erste Schritt zu einer Annäherung. Ist dies nicht möglich, empfiehlt sich ein „rationaler Dissens“ nach dem Motto „let‘s agree to disagree“. Das nimmt viel „explosiven“ Stoff aus einer Diskussion.

Anzuerkennen, dass die KommunikationspartnerInnen nicht einer Meinung sein können/müssen/wollen und trotzdem bereit sein, im Gespräch zu bleiben, die Tür offenzulassen.

Wie diskutiert man mit Menschen, die eine andere Meinung haben als wir selbst? Kann es helfen sich auf das Gemeinsame zu konzentrieren?

Menschen sind leichter zugänglich, wenn ihre Meinung in gewisser Weise auch gehört und anerkannt wird. Die Suche und Konzentration auf das Gemeinsame sind in den meisten Fällen sehr hilfreich. Und eine Gemeinsamkeit haben wir ja jedenfalls alle: wir sind Menschen, wir haben unsere „Geschichte“ und als Menschheit auch eine gemeinsame Zukunft, wie auch immer diese aussehen wird.

Wie kann ich Kritik formulieren, ohne dass mein Gegenüber explodiert?

Wie das Gegenüber tatsächlich reagiert, ist nicht wirklich in der Macht des Kommunikators/der Kommunikatorin. Ein empathisches Eingehen auf das jeweilige Gegenüber, ein gewisser Grundrespekt, der sich als innere Haltung dann auch im Gesprächsverhalten – verbal und non-verbal – widerspiegeln sollte, hilft in vielen Fällen, Irritationen zu vermeiden. Mit Kritik verbinden viele von uns etwas Negatives.

Konstruktive Kritik ist jedoch ein Geschenk und sollte auch so verpackt werden. Manchmal hilft das sogenannte „Sandwich-Feedback“: Zuerst etwas Positives, das natürlich ehrlich gemeint sein sollte, dann die Kritik in angemessenen, möglichst wertschätzenden Worten und danach wieder etwas „Versöhnliches“, Positives zum Ausklang.

Emotionen, besonders starke Emotionen, verlangen nach Anerkennung. Wenn eine Person sehr stark in der Emotion ist, ist es mehr oder weniger sinnlos, rational zu argumentieren. Der Mensch ist in einer emotionalen Ausnahmesituation nicht in der Lage, wirklich zuzuhören. Gerade im Konfliktfall – wie bei einer „Explosion“ – ist das Zuhören und Erfassen von Sachargumenten gleich „Null“. – Emotionen anerkennen. Selbst ruhig bleiben.

Im professionellen Kontext kann es helfen, Spielregeln für das Kommunikationsverhalten zu vereinbaren und das Commitment aller einzuholen. Bei einer „Explosion“ kann dann ein Time out vereinbart werden.

Es kommt natürlich auf das Thema und die Gesamtkonstellation an. Manche Themen müssen „auf den Tisch“, hier plädiere ich für den Grundsatz aus der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth Cohn: „Klarheit vor Harmonie“.

Manche Explosionen muss man auch aushalten und durchstehen. Sollten Grenzen überschritten werden, allenfalls den Raum verlassen. Nach einigem Abstand wieder das Gespräch und den Kontakt suchen, wenn dies angebracht erscheint.

Wie leitet man eine Diskussion, ohne sie aus dem Ruder laufen zu lassen?

Auch hier plädiere ich für klare Spielregeln, die am Beginn der Diskussion vereinbart werden.

Dann kann sich der/die Diskussionsleiter/in auf diese Spielregeln beziehen. Zu diesen Spielregeln gehören meiner Erfahrung nach „respektvolle Sprache“, „ausreden lassen“, „nicht unterbrechen“, Anerkennen der Rolle eines/einer Diskussionsleiter/in bzw. ModeratorIn, einhalten von Redezeiten und eine konstruktive Mitarbeit.

Interview Ende


Verschwörungstheorien – eine Gefahr für unsere Gesellschaft?

Es gibt unterschiedliche Formen von Verschwörungstheorien. Manche sind gefährlich, andere weniger. Wichtig ist zu unterscheiden, wie sich die Theorie auf unsere Gesellschaft auswirkt. Glaubt man zum Beispiel, die Welt sei eine Scheibe, dann bringt man andere Menschen damit noch nicht in Gefahr.

Bei Corona Verschwörungstheorien ist es aber anders. Es handelt sich um eine Krankheit, die in ihren Gesamtauswirkungen niemand wirklich einschätzen kann. Eine Situation, für die es keine sofortige Lösung gibt.

Verschwörungstheorien stellen in diesem Fall eine große Gefahr dar. Hier lässt sich zum Beispiel auch eine Parallele zum Klimawandel erkennen. Denn das, was wir glauben, spiegelt sich auch in unserem Verhalten wider. Glauben wir also nicht an die unsichtbare Gefahr Corona, haben wir auch keinen Grund, unser Verhalten zu ändern.

Jeder von uns kann sich aber auch irren, und das ist auch keine Seltenheit. Doch in diesem Fall wird das Nicht-Handeln und die Verschwörung zur Gefahr. Denn so riskieren wir nicht nur unsere eigene Gesundheit, sondern auch jene unserer Mitmenschen.

Verschwörungstheorien erkennen:

Verschwörungstheorien zu erkennen, ist nicht immer einfach, aber sie haben ein paar Gemeinsamkeiten und folgende Schritte helfen, diese aufzudecken:

  1. Quellen überprüfen

Fragen, die man sich stellen sollte, wenn man eine Quelle überprüfen möchte:

  • Wer sagt was, wann und wo?
  • Ist es ein YouTube Video oder sind Inhalte auch auf seriösen Seiten zu finden?
  • Wer genau ist die Person hinter der Quelle und welchen Hintergrund hat sie?
  • Wer profitiert von der Theorie?

Bei Verschwörungstheorien ist meist die ursprünglichste Herkunft nicht bekannt, im Gegensatz zu wissenschaftlichen Quellen. Oft wird eine Nachricht von einem zum nächsten verbreitet. Gerüchteküche goes digital, sozusagen. Was vielen nicht bewusst ist: Auch als VerbreiterIn ist man für die Konsequenzen mitverantwortlich.

2. Logische Widersprüche erkennen

Wie man logische Widersprüche aufdeckt, zeigt dieses Video auf sehr anschauliche Art und Weise.

3. Schlüsselworte in die Suchmaschine eingeben

Die wichtigsten Wörter des Beitrags noch einmal separat in eine Suchmaschine einzugeben, kann helfen, herauszufinden aus welcher „Ecke“ diese Information kommt.

4. Gemeinsamkeiten kennen

SaferInternet.at  hat eine Liste der Gemeinsamkeiten von fragwürdigen Inhalten im Internet veröffentlicht, dazu zählen:

  • Eine Reißerische Sprache, Verallgemeinerungen und Superlative
  • Emotionale Begriffe wie herzzerreißend, beängstigend etc.
  • Schockierende Bilder
  • Fehlende Quellenangaben
  • Fragwürdige Zahlen und Statistiken ohne Beweise
  • Das Schüren von Angst
  • Click Bait Videos: ein Video, das mit einem Cliffhanger endet. Um die Antwort zu bekommen, muss auf das nächste Video geklickt werden und so werden mehr Klicks erreicht.

5. Tools nutzen

Folgende Online-Dienste decken Falschmeldungen im Internet auf:

Für Bilder eignet sich die umgekehrt Bildersuche mit:

6. Die Meldefunktion nutzen

Um die Verbreitung und deren Folgen auf unsere Gesellschaft zu stoppen, ist es wichtig, solche Verschwörungstheorien und Fake News zu melden, wenn man sie sieht. Facebook, Instagram und Co. stellen diese Möglichkeit bereit.

Der Umgang mit Verschwörungstheorien

Entdeckt man selbst eine Meldung, die man fragwürdig findet, und die sich nicht überprüfen lässt, sollte man sie nicht verbreiten. Gibt es in der Familie oder mit Freunden Diskussionen über Verschwörungstheorien, sollte man sich daran erinnern, welchen Zweck Verschwörungstheorien für die VerbreiterInnen oftmals erfüllen. Die Sehnsucht nach Erklärung und Kontrolle über das eigene Leben. Dieses Bedürfnis sollte man anerkennen, ohne die Theorie selbst zu ernst zu nehmen.

Außerdem sollte man auch daran arbeiten, seine Widerspruchstoleranz zu erhöhen. Also die Fähigkeit, Vieldeutigkeit und Widersprüchlichkeiten wahrzunehmen und zu ertragen. Denn wir sind uns nun mal nicht immer einig. Im Gespräch kann man dann zum Beispiel sagen: „Ich akzeptiere dich, wie du bist, aber in diesem Punkt sind wir uns nicht einig.“ Mit diesem Satz habe ich selbst auch schon gute Erfahrungen in solchen Diskussionen gemacht.

Kritisch zu denken bedeutet vor allem auch, seine eigene Meinung in Frage zu stellen. Wir irren uns, das ist normal. Doch dann sollte man das auch zugeben und sich nicht noch tiefer in Unwahrheiten verstricken.

Unser gesellschaftliches Zusammenleben hat großen Einfluss auf die Umwelt. Denn wenn wir gegen anstatt miteinander arbeiten, schaffen wir meiner Meinung nach nur noch mehr Probleme. Wir müssen nicht immer der gleichen Meinung sein, aber eine respektvolle Diskussionskultur von allen Beteiligten ist etwas, das wir brauchen, um als Menschheit die Herausforderungen zu meistern, die noch vor uns liegen.

Egal ob rechts oder links, Verschwörungstheorien haben das Potential, eine Gesellschaft zu radikalisieren. Wer sich die Folgen dieser Radikalisierung vor Augen führt, erkennt wahrscheinlich, dass eine radikalisierte Gesellschaft das letzte ist, was wir brauchen. Das ist der Grund, warum wir uns meiner Meinung nach auch mit diesem Thema beschäftigen sollten.

Quellen:

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